Informationen: Senioren blühen auf

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Informationen: Senioren blühen auf

Die Gartentherapie bietet eine sinnvolle, bereichernde Ergänzung zum Pflege- und Beschäftigungsalltag in stationären Alteneinrichtungen. Durch einen gesteuerten Prozess werden Pflanzen dafür verwendet, das soziale, psychische und physische Wohlbefinden der Bewohner zu steigern – dies gilt auch bei bettlägerigen oder demenziell erkrankten Senioren.

von Susanne Büssenschütt

Bald lockt sie wieder, die Frühlingssonne. Alle wollen dann hinaus, die frische, sonnige Luft spüren, dem Vogelgezwitscher lauschen und das Erwachen der Natur miterleben. Aber wie sieht es mit den Bewohnern in stationären Alteneinrichtungen aus? Muss all jenen, die nicht mehr selbstständig zu Fuß unterwegs sein können, der Blick aus dem Fenster reichen? Nein, denn fast jede Einrichtung verfügt über einen Garten oder eine Terrasse, die wunderbar für gartentherapeutische Aktivitäten oder eine pflanzengestützte Pflege genutzt werden können. Die Sonne auf der Haut spüren, vom Wind gestreichelt werden, an Pflanzen riechen, einen Baum umarmen oder gar eine Sinn bringende Arbeit im Garten verrichten – darauf sollten auch Bewohner, deren Mobilität beeinträchtigt ist, nicht verzichten. Auch bei bettlägerigen oder demenziell erkrankten Bewohnern ist eine sensorische Stimulation mit Pflanzen möglich und bietet eine willkommene Abwechslung – vorausgesetzt, die Mitarbeiter der Einrichtungen sind qualifiziert kleine oder größere Aktivierungseinheiten im Garten durchzuführen und diese als sinnvolle Ergänzung zum Pflege- und Beschäftigungsalltag zu nutzen.

Bei der Gartentherapie handelt es sich um einen gesteuerten Prozess: Die Natur wird dazu verwendet, das soziale, psychische und physische Wohlfinden der Bewohner positiv zu beeinflussen. So können altbekannte Bäume, Blumen und andere Pflanzen ein vertrautes Gefühl auslösen und für emotionale Sicherheit sorgen. Farben, Formen und Düfte der Pflanzen fördern das biografische Erinnern und reizen die Sinne. Durch die körperliche Betätigung werden Ausdauer, Koordination, körperliches Wahrnehmen und Gleichgewichtssinn trainiert. Hinzu kommt das Gefühl, eine Sinn bringende Tätigkeit verrichtet zu haben, die von Angehörigen, den Mitbewohnern und dem Personal anerkannt wird. Auch dies steigert das Gefühl der Zufriedenheit des Bewohners.

Beispiel St. Michael, Caritas Bremen

Im Altenheim St. Michael in Bremen haben die Senioren gemeinsam mit ihren Angehörigen und Betreuern im vergangenen Herbst Zwiebeln für viele Frühlingsblumen gesteckt. Jetzt schaut Frau M. in den Garten und fragt aufgeregt: "Habt ihr die blühenden Schneeglöckchen draußen schon gesehen?" Davor hat sie sich über die verschiedenen Sorten von Blumenzwiebeln, die sie aus ihrer Kindheit kennt, unterhalten, an den Zwiebeln gerochen und sich an Erlebnisse erinnert, die der Duft in ihr hervorgerufen hat. An anderen Wintertagen machen die Senioren einen kurzen Spaziergang zum Windspiel im Garten. "Hängt da wieder etwas Neues dran?", fragen sie sich, während sie tief die kalte Luft einatmen und dabei das Windspiel betrachten. Das sich ständig ändernde Kunstwerk mit seinen Farben und Geräuschen regt die Sinne an und ist zugleich Anreiz für die Bewohner, auch im Winter einen Gang ins Freie zu wagen.

Vielzahl an Indikationen

Eine pflanzengestützte Pflege oder Gartentherapie bietet aber nicht nur eine gesunde Abwechslung an der frischen Luft und vermindert damit Langeweile, sie ist vielmehr bei einer Vielzahl von Diagnosen indiziert: Bei akuten und chronischen Schmerzen etwa, denn Ablenkung lässt den Schmerz vergessen (Gate Controll Theorie von Wall/Melzack), oder bei beeinträchtigter Gedächtnisleistung, die durch das Erkennen und "Erriechen" von Pflanzen gesteigert wird. Weitere Beispiele sind die Umkehr des Schlaf- Wach-Rhythmus und das Wandering bei Bewohnern mit Demenz: Auf Rundwegen im Garten können diese Bewohner geschützt gehen, ohne dass Mitbewohner gestört werden. Tägliche Spaziergänge vereinen zudem den Zeitgeber Licht, Bewegung sowie soziale Kontakte in einer Intervention, gezieltes Hinausgehen nach dem Abendessen fördert das Einschlafen und minimiert das nächtliche Umherwandern.

Weitere Indikationen sind beispielsweise Machtlosigkeit, Vereinsamungsgefahr und ein Selbstversorgungsdefizit beim Essen: Die Arbeit im Garten regt den Appetit an, macht Lust zum Naschen, fördert die Kommunikation der Bewohner untereinander und wirkt durch sinnhaft vertraute Tätigkeiten wie Unkraut zupfen oder ernten dem Gefühl entgegen, nichts mehr bewirken zu können. Auch wer in seiner Mobilität beeinträchtigt ist, kann am Hochbeet oder mit Spezialwerkzeugen mithelfen, denn: Vielen Bewohnern ist Gartenarbeit vertraut und vertraute Bewegungen gehen leichter.

So hat etwa Herr K. nach der Pflanzaktion im Bremer Altenheim St. Michael gemeinsam mit Frau B. den Weg gefegt und dann das Unkraut zum Kompost gebracht. Die Bewegungen, die sie dabei gemacht haben, kennen sie von früher, sie sind automatisch und harmonisch abgelaufen. Und obwohl die Senioren sonst kaum miteinander kommunizieren, haben sie sich über ihren Ordnungssinn und das frühere samstägliche Hoffegen unterhalten.

Sinneserfahrung mit Kräutern

Bei dem bettlägerigen Herrn L. hat sich gar schon ein Ritual eingespielt: In regelmäßigen Abständen holt eine Beschäftigungstherapeutin, unmittelbar nach der Körperpflege, Kräuter, Blätter mit unterschiedlichen Oberflächen und duftende Blumen. Herrn L. reicht sie immer wieder andere Pflanzen, an denen er riecht, fühlt und reibt. Dabei erinnert er sich an seinen eigenen Garten. Das Bett des Bewohners wird regelmäßig umgestellt, sodass Herr L. mal auf den blühenden Apfelbaum im Garten und mal auf die Tomaten vor dem Fenster blicken kann. Sinneserfahrungen mit Kräutern lassen sich gezielt machen – oder spontan zwischendurch. Wohnbereichsleiterin Barbara Ballhorn von St. Michael freut sich jedes Mal mit den Bewohnern, wenn sie einfach eines der vorhandenen Kräuter pflücken, in den Händen zerreiben und den Duft genießen.

Am besten lassen sich Gartentherapie und pflanzengestützte Pflege durch konkrete Projekte in Senioreneinrichtungen implementieren. Dazu kann ein vorhandener Garten genutzt und umgestaltet werden, aber auch Innenräume lassen sich begrünen – sei es temporär oder auf Dauer. Gartentherapeutisch geschulte Mitarbeiter setzen die Projekte um und dienen bei Folgeprojekten als Multiplikatoren. Zudem sollten auch Ehrenamtliche Fortbildungen erhalten, um etwa einen wöchentlichen "Gartenclub" anbieten zu können. Aber auch Alltagsbegleiter können regelmäßig mit ihren Bewohnern zur Aktivierung in den Garten gehen und sich dabei der vielen Gartentherapie- Angebote bedienen. Weitere Möglichkeit ist die generationsübergreifende Gartentherapie, bei der Kindergärten und Altenheime kooperieren. Doch egal, welche Angebote gewählt werden: Gartentherapie ist eine Bereicherung für Bewohner und Mitarbeiter von Altenhilfeeinrichtungen. Dabei geht es nicht darum, einen Image wirksamen Garten zu haben, sondern um die Teilhabe von Bewohnern und Mitarbeitern und die Integration des Grünraums in den Alltag.